BILD.TERROR
Analysen. Kommentare. Deutungen 11. September 2001
Vortragsreihe mit dem Carl-Schurz-Haus/ deutsch-amerikanisches Institut e.V.

Anlass
Der Kameraschwenk nach Afghanistan signalisierte das Ende des Schocks - ohne tatsächlich dessen Ende zu sein. In Feuilletons und Magazinen, Fernseh- und Radiosendungen ging es seit Beginn der militärischen Reaktion um „andere Themen“: um Krieg und religiöse Hintergründe, um wirtschaftliche Folgen, Biowaffen und das Rätsel terroristischer Schläfer. Der Terroranschlag vom 11. September hat Fortsetzungen gezeitigt, die den Akt selbst in den Hintergrund der Aufmerksamkeit gerückt haben.

Undenkbar, dass ein Ereignis, von dem übereinstimmend gesagt wurde, es werde die Welt verändern, in so kurzer Zeit hinreichend bedacht ist. Die Eile, mit der die Katastrophe als primär politisch und religiös motivierte Tat klassifiziert und entsprechend beantwortet wurde, ist selbst ein Hinweis auf das Unerträgliche des Unverstandenen: Die Reaktion, so besonnen wie auch immer angekündigt, war eine Flucht - nach vorn. Die Bilder, die wir seit dem militärischen Angriff auf Afghanistan zu sehen bekamen, blieben hinter jenen zurück, deren Wucht, aller Katastrophenfilme zum Trotz, unvorbereitet traf.

Die Vortragsreihe soll der Sprache Raum geben, die die Schreckensbilder erpresst haben. Freilich ohne an deren Stelle zu treten: Vorträge und Gespräch wollen die Bilder vom 11. September vergegenwärtigen, Deutungen anbieten und vertiefen helfen. Fokus ist das Thema Bild im weitesten Sinn. Thematisch werden soll die Wirkmacht der Bilder, das Verhältnis von Bild, Gewalt und Tod.

Kunst, Musik oder Literatur: werden sie nach dem 11. September anders sein müssen? Oder liegt ihre Relevanz nicht gerade in der immer schon thematischen Kontingenz des Humanen? Haben wir das bisher nicht ausreichend zu Kenntnis genommen? Sind die Terrorbilder Anlass auch Kunst anders wahrzunehmen? Ist der spontane Kommentar von Karlheinz Stockhausen ein Hinweis darauf? Ist die Betroffenheit des Bundeskanzlers beim Anblick der „Wüste des Realen“ ein Hinweis auf die Irrelevanz der Kunst - oder auf die Kunstfremdheit der Politik? Haben wir nicht gelernt alles und jedes als Kunst wahrzunehmen – verbietet sich gerade dies angesichts der Bilder aus NY? Woher beziehen die Bilder ihre Kraft zu faszinieren? Kann man, muss man dem Bann der Bilder widerstehen?

Menschen in aller Welt haben die Bedeutung der Gewalt der Zerstörung und ihre gleichzeitige Bildwerdung intuitiv verstanden, - dennoch bedarf es der weiteren Anstrengung auch des Denkens. Das Unfassliche, das zu realisieren dem Willen einzelner Menschen gelang, ist unfassbar geblieben - wird es das bleiben müssen? Wie eilfertig verfasst auch immer die Deutungen der ersten Stunden und Tage gewesen sein mögen, waren sie nicht doch notwendige, höchst riskante Versuche den atemraubenden Bildern Worte nach zu tragen? Worte, die vielleicht nur in ihrer Gesamtheit eine adäquate Annäherung sind? Das Bemühen darum möchte die Veranstaltung fortsetzen.

Vortragende:
Klaus Theweleit, Freiburg
Otto Karl Werckmeister, Berlin
Wolfgang Flatz, München
Richard Schindler, Freiburg
Ulricke Sprenger (München)
Wolfgang Bock, (Weimar)
 
INTERVIEW
BZ-Mitarbeiter Jürgen Reuß sprach mit den Organisatoren, der Direktorin des Carl- Schurz-Hauses Eva Manske und dem Freiburger Künstler Richard Schindler.

BZ: Frau Manske, Herr Schindler, lässt sich zur Halbzeit Ihrer Vortragsreihe eine Zwischenbilanz ziehen?

Richard Schindler: Bündige Formeln waren nicht zu erwarten. Wir möchten ein breites Spektrum des Umgangs mit den Bildern des Terrors aufzeigen . . .

Eva Manske: . . . und aus der Sicht von Künstlern und Wissenschaftlern Interpretationsspielräume öffnen, die über den Schock hinausweisen und die Sprachlosigkeit der ersten Reaktionen überwinden.

BZ: In den ersten Reaktionen auf den 11. 9. wurde auf bekannte Bilder zurückgegriffen, z. B. aus dem Kino.

Schindler: Warum nicht bei Bekanntem andocken, um sich dem Ungeheuerlichen zu nähern.

Manske: Gut ein Jahr nach den Anschlägen möchten wir verstärkt Deutungshilfen anbieten, die auch Geschichte, Kultur, Heilsgeschichte einbeziehen.

BZ: Verändert der 11. September die Kunst?

Schindler: Die Kunst wird sich nicht verändern, aus dem einfachen Grund, weil sie den Schrecken immer schon thematisiert.

Manske: Vielleicht führt dieser Schrecken dazu, dass die Menschen genauer hinsehen. Man kann aber nicht sagen, dass durch diese Ereignisse Kunst besser wahrgenommen wird. Es ist nur der Appell, sich nicht von der Macht der Bilder vereinnahmen zu lassen. Deshalb das Bemühen unserer Reihe, Interpretationsangebote zu machen, die Wahrnehmung und Verständnis schärfen.

BZ: Muss man einen Terroranschlag als Kunstwerk betrachten, weil einem sonst wichtige Aspekte entgehen?

Schindler: Nicht als ein Kunstwerk, sondern wie ein Kunstwerk. Das heißt mit derselben Aufmerksamkeit.

Manske: Wobei es besonders wichtig ist, dass man Hintergrundwissen beisteuert. Wenn man Terroranschläge auf die rein ästhetische Ebene bringt, ist das gefährlich.

Schindler: Mir fällt dabei Rilke ein: "Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören." Das ist der Punkt, den man nicht übersehen darf. Das Schöne ist der Anfang des Schrecklichen und zerstört uns nicht. Kunst gestattet, sich Ungeheuerlichem zu nähern, ohne Angst haben zu müssen, zerstört zu werden.

BZ: Häufig wurden die von Laien gemachten Bilder vom 11. September als eindringlicher empfunden als die der Profis von Magnum, die sich damals zufällig zu einer Tagung in New York befanden.

Schindler: Einspruch. Jeder Hobbyfotograf fotografiert genauso wie der Experte. Die Magnum-Ästhetik ist eine, die wir alle gelernt haben. Das ist wie bei anderen wissenschaftlichen Arbeiten auch. Da wird ein Weltbild erarbeitet von Experten, Kopernikus etwa, und heute lernt das jeder in der achten Klasse. Nur ist das professionelle Foto vielleicht avancierter und erlaubt einen präziseren Zugriff.

BZ: Erfordern Schreckensbilder Gegenbilder?

Schindler: Ja. Ansätze dazu waren beispielsweise die Installationen mit Blumen und Kerzen auf den Straßen.

BZ: Das Gegenbild zur Zerstörung des Wahrzeichens von Manhattan ist nicht zwangsläufig auch ein Bild der Zerstörung, wie es der Krieg gegen den Terror nahe legt?

Schindler: Nein. Das Gegenbild ist ein Bild der Trauer.

Manske: Über ein anderes Gegenbild wird Ulrike Sprenger morgen sprechen: Die neuen Superhelden und ihre verblüffende Ähnlichkeit zu barocken Heiligen.
 
Bild.Terror: Bilder sind das Letzte
Aus dem Vortrag von Richard Schindler im Rahmen der Vortragsreihe Bild.Terror des Carl-Schurz-Hauses/Deutsch-Amerikanischen Institut an der Universität Freiburg 2002.

Ist es absurd einen Zusammenhang denken zu wollen zwischen dem Anstieg der Erdbevölkerung und dem Ansturm der Bilder? Hat die Flut der Bilder nichts mit der Unzahl der Toten zu tun?

Jedenfalls hinterlassen immer mehr Menschen Müll. Und der Umgang damit ist unterschiedlich. Es gibt gesellschaftlich geregelte Umgangsformen, aber auch individuelle - die so individuell auch wieder nicht sind.

Im Herausfallen aus allen Nutzungszusammenhängen, im Übergang vom zirkulierenden Objekt zum bloßen Ding, entsteht Berührungsloses, das niemand will: Das letzte, was aus Dingen wird – es ist das Letzte. Seine ausschließliche Dinghaftigkeit und schiere Anwesenheit ist unlegitimiertes Dasein – ein störender Fleck. Müll ist ein Nichts, das eben darum im Weg liegt. Aber Dinge, die das Letzte sind, handeln auch von den letzten Dingen: Der Rest erinnert das Genießen, das Begehren und die Macht (die Kaufkraft), die nötig und vorhanden war, sich Befriedigung und der Welt Abfall zu verschaffen. Müll ist ein Nichts, das nicht Nichts ist: Er bezeugt gehabten Genuss und verkörpert leichenhaft die Wahrheit der Sinnlosigkeit und Kontingenz des Daseins.

Der Vortrag ist abgedruckt in der Festschrift: Deutsch-Amerikanische Zeiten. 50 Jahre Amerika-Haus Freiburg und Carl-Schurz-Haus / Deutsch-Amerikanisches Institut e.V. Herausgeber: Carl-Schurz-Haus, Freiburg. Seite 112-123